5.3.06

Hier war ich mal zuhaus

Gestern hab ich mich in Leipzig mal wieder etwas umgesehen. Ich hab meinen Fotoknips eingepackt und bin durch Kleinzschocher und Plagwitz gelaufen, bin überall dort gewesen, wo ich mal zuhause war. Und ich habe festgestellt, dass sich in sechs Jahren im Grunde nichts verändert hat. Vorn an der Hauptstraße, da leuchten die Häuser, saniert und neu eingekleidet. Doch wenn ich um die Ecke gehe, dann ist alles immer noch so, wie es schon damals war. Noch immer starren mich dort Häuser aus leeren, schwarzen, fensterlosen Augen an. Menschen laufen mir über den Weg. Menschen, die nach Weichspüler riechen, die ihre Kinder und ihre Hunde spazieren führen. Einfach nur mal ums Viertel gehen, weil sie den Drang verspüren, mal raus zu kommen, aus der Bude. Eine Frau steckt sich eine Neue an und ruft ihre drei Kinder vom Spielen nach hause. Ihre Stimme klingt belegt und rauchig. Sie klingt, als hätte sie sich alles ganz anders vorgestellt. Und trotzdem klingt sie nach einer Stimme, die man erwartet, in dieser Gegend. Nigel Kennedy spielt mir traurige Zigeunerweisen ins Ohr. An manchen Ecken fühle ich mich, als wäre ich in einer Dokumentation oder einem Programmfilm über den östlichen Teil Europas. An solchen Ecken ist der äußerliche Unterschied gar nicht mal so groß. Wenn ich so in die Hinterhöfe schaue, dann sehe ich mich manchmal Prospekte austeilen. Prospekte von Netto, die ich damals mit meinem Bruder ausgetragen hab. Es ist, als hätte ich einen Schalter umgelegt und würde jetzt eine Zeitreise machen. Plötzlich erwachen Erinnerungen in mir. Gute und weniger gute, die ich schon seit geraumer Zeit verdrängt hatte. Eine ältere Dame warnt mich vor dem letzten Eis auf dem Fußweg. Nach zehn Minuten wird mir klar, dass sie nur dringend jemanden zum Reden braucht. Wäre nicht der nette Nachbar mit seinem kleinen Hund vorbei gekommen, dann würden wir immer noch dort stehen. Und ich würde immer noch so tun, als wäre ich an dem, was sie zu sagen hat, interessiert.
In dem Viertel, das nicht mehr mein Viertel ist.


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